
Abt.: Unsägliches unhörbar machen
Weidel im Zentrum
Da sitze ich nun, baff und mit erstauntem Gesicht. Wobei ich nicht zu sagen vermag, was mich am meisten erstaunt.
Um das zu erklären, muss ich etwas Kontext in die Runde streuen.
Die öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten machen seit geraumer Zeit sogenannte Sommerinterviews mit Vertretern der im Bundestag vertretenen Parteien. Zur Erbauung, zur Unterhaltung, zur Erhellung oder schlicht um etwas ins Sommerloch kippen zu können.
Jetzt war die AfD-Weidel dran, die ich gerne mitsamt ihrer Partei ins Sommerloch kippen möchte. Und weil ich da nicht der einzige bin, hat sich das Zentrum für politische Schönheit mit ihrem Adenauer in Stellung gebracht, um möglichst viel des Unsäglichen unhörbar zu machen.
So kreativ und spannend die Ideen und Aktionen des Zentrums auch immer sein mögen, diese ist aber mal nach hinten los gegangen. Und das aber mal nicht wie...
So viel zum Verständnis vorne weg.
Baff eins - AfD im Fernsehen
Es haben sich schon viele, und auch viele fähige, Leute die Zähne daran ausgebissen, der AfD journalistisch bei zu kommen. Und immer wieder kommt einer, der meint, er könne das schaffen. Was er damit schafft, er bietet der AfD ein ums andere Mal eine Bühne auf der sie sich ungehindert und reichweitenstark präsentieren kann. Besonders die Weidel mit ihrer Mischung aus Arroganz, Überheblichkeit und zur Schau gestellter Coolness zieht die Manuale der Öffentlichkeitswirkung mit einer professionellen Virtuosität wie kaum jemand.
Für das ZDF ist es beschämend, einer Partei, die den öffentlich rechtlichen Rundfunk gängeln, abschaffen oder gleichschalten will, eine solche Bühne zu bieten. Ist das die Toleranz der Toleranten bis in den Untergang? Oder wirkt hier das Trommelfeuer von rechts, die Öffentlich Rechtlichen seien Systemmedien und würden die Systemfeinde ausgrenzen?
Baff zwei - Die Weidel stolz und souverän
Gelegentlich wirken Störungen - mit Trillerpfeifen, Vuvuzelas oder auch faulen Tomaten - erhellend. Weil sich der oder die Gestörte hinreißen lässt. Zu Beschimpfungen, zu Wutausbrüchen, zu unbedachten Äußerungen. Das hat manchen Minister und manchen Kanzler getroffen. Und selten haben die Getroffenen dabei eine gute Figur gemacht.
Eine gute Figur hingegen hat die Weidel angesichts der Lärmattacken des Adenauers gemacht. Denn sie hat die Contenance nicht verloren. Sie hat sich nicht zu irgendwas hinreißen lassen. Sie hat sich zu keiner Zeit eine Blöße gegeben oder sich in Beschimpfungen ergangen.
Wäre diese Partei oder diese Politikerin satisfaktionsfähig, das Verhalten nötigte mir Respekt ab. Weil es aber eine kalkulierte rechtsextreme Inszenierung war, bleibt mir das Entsetzen, dass sich das ZDF für diese hergegeben hat.
Und da wäre wir auch schon bei...
Baff drei - Das ZDF als Steigbügelhalter
Anstatt das Interview - gerne auch mit einem Wort des Bedauerns - abzubrechen, hat sich das ZDF-Team entschlossen, aus der Weidel eine standhafte Märtyrerin zu machen.
Anstatt im Anschluss - gerne auch mit einem Wort des Bedauerns - die Sache auf sich beruhen zu lassen, überlegt sich das ZDF, wie eine solche Situation in Zukunft zu vermeiden sei. Und mit "solche Situation" ist nicht gemeint, Nazis in Zukunft keine Plattform mehr zu bieten. Vielmehr, wie man sicher stellen kann, dass auch Verfassungsfeinde ihren Sermon ungestört verbreiten können.
Baff vier - Inhalte?
Joi, wir haben also auf der einen Seite ein Interviewer, der so schlecht vorbereitet ist, wie er unfähig ist, sich gegen Frau Weidel Gehör zu verschaffen mag. Er lässt ihr quasi freien Lauf, um Halbwahrheiten, Unrichtigkeiten und Propaganda ungebremst und unwidersprochen in den Äther zu blasen.
Dabei versteht es Weidel geschickt, in einen Satz zusammen zu packen, was in einem Satz nichts zu suchen hat. Denn während sie vermeintlich Merz - und wenig liegt mir ferner, als Merz in Schutz zu nehmen - und die Bundesregierung kritisiert, führt sie tatsächlich Beispiele aus dem Land Berlin an, die mit dem Bundesmärz rein gar nichts zu tun haben. Sie schallt den Merz einen Lügner, weil der Merz das macht, was ein Kanzler in einer Demokratie nun einmal macht: um Kompromisse ringen. Kompromisse zwischen eigenem Klientel, Koalitionspartner und Finanzierbarkeit. Das mag er schlecht machen, aber das ist sein Job.
[abendzeitung-muenchen.de]: Protest bei Weidel-Interview