
Abt.: Wer bremst hat Angst
Autospuren sollen weg
Die einen suchen Lebensqualität in ihren Blechkisten. Die anderen wissen, wirkliche Lebensqualität gibt es nur außerhalb zu entdecken. Wer mag schon eine Autobahn zum Flanieren einer Fußgängerzone vorziehen? Ich nicht.
Beginnen möchte ich mit einem Satz, den ihr euch gerne auf euer Kopfkissen sticken könnt:
Jeder Quadratmeter Platz, der dem Auto abgetrotzt wird, ist ein Gewinn für den Menschen.
Die Grünen preschen mit der Idee einer erweiterten Fußgängerzone am Odeonsplatz medienwirksam vor. Ganz offenbar preschen die übrigen Parteien im Stadtrat mit der jeweils ihnen eigenen Geschwindigkeit nach. Allen ist klar, dass eine Fußgängerzone prinzipiell eine gute Idee ist.
Ebenfalls klar ist ihnen, dass sie von unterschiedlicher Seite Gegenwind zu erwarten haben. Je nach Weltanschauung wissen sie den Gegenwind zu nutzen oder sich fortblasen zu lassen.
Doch selbst eine CSU, die immer geneigt ist auf der Welle der Automobillobby zu segeln möchte es sich nicht mit einem strickten und voreiligen Nein bei der Stadtgesellschaft verscherzen. Natürlich muss sie zaudern und zagen, abwägen und zerreden, Bedenken anmelden. Natürlich darf sie nicht einfach sagen, hey super, wir machen das wie die Grünen gesagt haben. Aber sie weiß auch, dass die Automobilisten alleine schon lange nicht mehr für Mehrheiten im Stadtrat taugen.
Während also im Stadtrat diskutiert wird, nach Kompromissen gesucht, sich in Abwägen und Annäherung geübt wird, geht es im Netz gewohnt Urzeitlich zu.
Wenn in einer Schlagzeile "die Grünen" und irgendwas von "Autospuren sollen weg" steht, dann geifern Grünenhasser und Autofetischisten unisono.
Vor lauter Schaum vor dem Mund ist nicht zu erwarten, dass sie mal für einen Moment ihr Hirn einschalten und sich fragen, um was es da eigentlich geht.
Welchen Gewinn an Lebensqualität für Mensch und Stadtgesellschaft mit jedem Quadratmeter neuer Fußgängerzone entsteht.
Sie machen sich keine Gedanken darüber, was es für die Anwohner viel - und auch weniger viel - befahrener Straßen bedeutet, wenn sie bis tief in der Nacht mit Lärm und Abgasen konfrontiert sind. Immer steht das Ego im Vordergrund, dass sich sofort auf den Schlips getreten fühlt, sobald es etwas Rücksicht nehmen soll.
Da schultert der geistige Neandertaler seine verbale Keule und drischt auf alles ein, was seiner eigenen Beschränktheit zuwider läuft.
Ein kleiner Auszug:
Die Grünen müssen weg
Wird Zeit, dass diese Bagage aus allen Entscheiderpositionen verschwinden
Die Grünen haben ja einen Vollknall.
Daraus ergibt sich dann zum Beispiel folgender Dialog.
Karin:
Genau, die Steuern zahlen dann die Fußgänger und Radlfahrer. Oder versteh ich da was nicht? Die Grünen haben ja einen Vollknall.
Ich:
Tatsächlich verstehst du da was nicht. Ist mit dem pawlowschen Schaum vor dem Mund sobald das Wort "Grün" irgendwo auftaucht auch nicht weiter verwunderlich. Die KFZ Steuer reicht bei weitem nicht, um die Bedürfnisse der Autofahrer und die Schäden, die durch das Autofahren entstehen, abzudecken.
Insofern sind es in der Tat Fußgänger und Radlfahrer, die für die Autofahrer mit zahlen.
Norbert:
Natürlich reichen die KFZ-Steuern nicht wenn man sie seit Jahrzehnten zweckentfremdet! Noch nicht einmal ein Drittel der Einnahmen werden dem Straßenverkehr zugeordnet! Über zwei Drittel fließen in den Bundeshaushalt! Wie kann man nur so einen Unsinn wie Sie verbreiten!
Ich:
Unsinn... vielen Dank für das Stichwort.
In dem Wort KFZ-Steuern steckt - wie unschwer zu erkennen - das Wort Steuer. Und der Steuer ist zu eigen, dass sie - egal, ob es sich um KFZ-, Erbschafts-, Lohn- oder sonst-was-Steuer handelt - nicht zweckgebunden ist und entsprechend auch nicht zweckentfremdet werden kann.
Da sie auch sonst offenbar schlecht informiert sind, möchte ich ihnen ein paar Zahlen mit auf den Weg geben:
Öffentliche Einnahmen durch den Autoverkehr (Deutschland, grob gerundet):
Kfz-Steuer:
~9 Mrd. €/Jahr
Energiesteuer (v.a. auf Kraftstoffe):
~37 Mrd. €/Jahr
Mehrwertsteuer auf Kraftstoff & Fahrzeuge:
~20 Mrd. €/Jahr
Gesamteinnahmen: ca. 65 Mrd. €/Jahr
Tatsächliche Kosten des Autoverkehrs (ebenso grob gerundet):
Direkte Kosten:
Infrastruktur (u.a. Straßenbau und Unterhalt):
~30–40 Mrd. €
Unfälle (Personenschäden, Sachschäden, Polizei):
~25–30 Mrd. €
Indirekte Kosten:
Luftverschmutzung (Gesundheit, Ernteverluste):
~15–20 Mrd. €
Lärmbelastung (vor allem in Städten):
~10 Mrd. €
Klimaschäden (CO₂):
~30–40 Mrd. €
Gesamtkosten: 120–140 Mrd. €/Jahr, Tendenz steigend
Sollten ihnen andere Zahlen vorliegen, bin ich gerne bereit, meine Berechnungen zu revidieren.
Anderenfalls muss ich ihnen entgegnen: Es sind wohl sie, der hier Unsinn verbreitet.
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