Im Gleichschritt...

Und alle reden vom Frieden

Und alle meinen etwas anderes. Und alle meinen, nur sie haben Recht. Und alle meinen, die anderen haben Unrecht. Den anderen muss man nicht zuhören. Man müsse sich für die anderen schämen. Sie seien naiv, blauäugig und dumm. Ja vor allem dumm. Denn wer dumm ist, mit dem muss man sich nicht ernsthaft auseinander setzen. Also sind die anderen dumm. Alle miteinander.

Glücklich alle die, die eine klare Meinung haben. Die eine unverrückbare Position eingenommen haben. Keinen Meter wollen sie rücken. Kein Argument wollen sie hören. Keinen Zweifel wollen sie in ihr Herz lassen. Die einen nicht und auch nicht die anderen.

Wessen Herz hingegen voller Zweifel ist, sieht sich der Wankelmütigkeit geziehen. Der Feigheit auch. Wessen Seele zerrissen ist zwischen der Angst vor einem Atomkrieg und dem Leid der Menschen in der Ukraine. Wer sich erinnert, dass Waffen und immer noch mehr Waffen noch nie zu Frieden geführt haben und wer gleichzeitig sieht, dass sich ein Herr Putin nur und zwar wirklich nur von Waffen, Stärke und Gewalt beeindrucken lässt.

Wer sich also nicht bedenkenlos in die Reihen derer einreiht, die nach Waffen rufen. Nach schwerem Gerät. Nach Eskalation. Sieht sich Anfeindungen ausgesetzt. Wird mit Häme übergossen. Wird naiv gescholten oder dumm. Gilt als egoistisch oder gefühllos. Ist feig oder verlogen.

Eine Hand voll Menschen, mehr oder weniger aus der Mitte unserer Gesellschaft, haben einen Brief verfasst oder unterzeichnet, in dem sie ihre Angst zum Ausdruck bringen. In dem sie ihre Überzeugung, "dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat", Ausdruck verleihen. In dem sie vor Waffenlieferungen und einem dritten, atomaren Weltkrieg warnen. (1)

Gegen diesen Brief wettern nun berufene und weniger berufene. Da wird sich geschämt und Entsetzen zum Ausdruck gebracht. Scham und Entsetzen vor Menschen, die ihren Ängsten Ausdruck verleihen. Da werden Polemiken verfasst und die Verfasser verhöhnt. Ihnen ginge es nicht um Frieden. Sie fühlten sich vom Krieg in ihrer Ruhe gestört. Sie machten sich zu nützlichen Idioten Putins. Egoismus paarte sich mit Feigheit, so wird unterstellt. Und das Schicksal der Ukrainer würde schulterzuckend in Kauf genommen. (2)

Ein anderer reisst das Maul weit auf uns spricht von einem Lumpenpazifismus. Und von "Menschen, die im Angesicht des russischen Angriffshorrors in der Ukraine nichts tun wollen". (3)

Jetzt mal ganz ehrlich, was ist denn daran verwerflich, Angst vor einem Atomkrieg zu haben? Was ist daran verwerflich, dass auch laut und deutlich zu sagen? Es gab andere Zeiten, da war die Gefahr eines Atomkriegs ähnlich real wie heute und damals war es in weiten Kreisen der Gesellschaft Konsens, davor Angst zu haben.

Und es war auch gut gelitten, seine Angst zum Ausdruck zu bringen. Für Abrüstung auf die Straße zu gehen. Es war gut gelitten, den Kriegsdienst zu verweigern. Und es war nicht ehrenrührig, die eigene Regierung zu kritisieren. Es war auch nicht ehrenrührig, die USA zu kritisieren.
"Frieden schaffen ohne Waffen" auf dieser Seite des eisernen Vorhangs. "Schwerter zu Pflugscharen" auf der anderen. Keiner wollte schießen. Keiner wollte morden.

Das Kriegsgeheul, dass dieser Tage durch die Medien und die Straßen pfeift erinnert mich sehr an den verhängnisvollen Burgfrieden zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Die freiwillige Gleichschaltung quer durch die Gesellschaft und die brüllenden Sprachrohre gemahnen ein "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur...". Nur was eigentlich? Ukrainer? Schwere Waffen? Blut und Tränen? Ich sehe die Gesellschaft, wie sie schlafwandlerisch, nein, nicht schlafwandlerisch, wie sie sehenden Auges und forschen Schrittes in eine globale Katastrophe taumelt. Am Ende wird ein zerfurchter Planet stehen und alle werden sich die Augen reiben "wie konnte das nur passieren".

(1) [myheimat.de]: Offener Mahnbrief

(3) [spiegel.de]: Der deutsche Lumpen-Pazifismus