Klatschen und auf die Hinterbeine stellen

Tarif und Pflege

Das man sich vom Applaus von den Balkonen nichts kaufen kann, darüber - so hatte man den Eindruck - herrschte schnell Einigkeit. Selbst viele Klatscher sahen beschämt ein, wie peinlich ihre Aktion gewesen ist. Das Klatschen verstummte bald.

Anständige Behandlung. Anständige Arbeitsbedingungen. Anständige Bezahlung. Nicht mehr und nicht weniger erträumen sich viele Pflegerinnen und Pfleger. Sich eine Wohnung in der Großstadt leisten, eine Familie ernähren und gelegentlich Urlaub machen. Keine unanständigen Träume also.

Die Gewerkschaft, also verdi, hat nun mit dem Arbeitgeberverband BVAP - in dem unter anderem die AWO, der Arbeiter-Samariter-Bund und die Diakonie vertreten sind - einen Tarifvertrag ausgehandelt, der zumindest finanziell in die richtige Richtung geht. Die Hoffnung war groß, dass dieser Tarifvertrag zu einem Flächentarifvertrag in der Pflege werden könnte. Das wurde nun von der Caritas abgeschmettert. Damit werden Caritasangestellte und Angestellte in privaten Pflegediensten weiterhin unter Tarif und knapp über dem Mindestlohn entlohnt.

Der Organisationsgrad skandinavischer Pflegekräfte beträgt 90 Prozent und ist damit schätzungsweise zehn Mal so hoch wie in Deutschland.
[sueddeutsche.de]

Eigentlich klar, Arbeitgeber haben kein gesteigertes Interesse, ihren ArbeitnehmerInnen höhere Löhne zu zahlen. Das schmälert ihre Gewinne. Im sozialen Bereich bekomme ich immer das Frieren, wenn ich von Gewinnen und Wirtschaftlichkeit höre. Speziell in der Pflege ist es ja nicht die Regel, dass sich Pflegebedürftige ohne weiteres eine gute Pflege leisten können.

"2.600 Euro kostet ein Pflegeheimplatz durchschnittlich bei der Caritas" weiß Google zu berichten. Und Google sagt auch die Durchschnittsrente beträgt 1.539 Euro brutto (in den neuen Bundesländern 1.495 Euro). Damit das irgendwie funktioniert, muss irgendwer einspringen. Pflegeversicherung, Angehörige, der Staat.

Eine Zahlenspielerei:
Eine Pflegekraft kann bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand von 2 Stunden pro Tag und Zupflegendem 4 Personen pflegen.
Eine Pflegekraft verdient bis zu 4.440 Euro. Dazu kommen vielleicht noch die Kosten für Kaffeeküche und Kaffee, da legen wir mal großzügige 690 Euro im Monat drauf. Natürlich braucht der Zupflegende ein Zimmer, in dem Bett, Lifter und Schrank untergebracht werden. Ich setze hier 690 Euro im Monat für 30 qm an. Der Zupflegende bekommt sein Essen aus der Großküche und legt dafür 10 Euro pro Tag - also etwa 300 Euro pro Monat - auf den Tisch.
Somit "verursacht" eine Pflegekraft über den Daumen gepeilt 9.090 Euro im Monat.
Dem gegenüber stehen die 10.400 Euro, die 4 Zupflegende für einen Pflegeplatz berappen müssen.
Bleiben unter dem Strich also 330 Euro pro Zupflegendem übrig (oder anders herum, eine Pflegekraft erwirtschaftet einen Überschuss von 1.320 Euro). Davon müssen sicher noch Inkontinenzhosen und Dekubituspflaster besorgt werden.
[tagesschau.de]: Einkommen bis zu 18,50 Euro

In den 2.600 Euro sind die Gehälter für die Pflegekräfte drinnen, die Kosten für Verwaltung und Management, ja auch die Kosten für Miete.
Bei der Situation auf dem Wohnungsmarkt ist klar, an der Miete lässt sich nicht viel schrauben.
Verwaltungskosten einsparen? Auch schwierig. Eine Verwaltungskraft zieht zum Vergleich einen beliebigen Tarifvertrag aus der Tasche und geht im Zweifelsfall da hin, wo der eingehalten wird.
Bleiben also die Pflegekräfte. Kein Tarifvertrag, keine gewerkschaftliche Organisation, keine Konkurrenzunternehmen, die mit ordentlichen Löhnen locken. Da lässt sich an der Gehaltsschraube drehen.

Und an der Schraube wird gedreht, wie ehedem an Daumenschrauben. Bis es knirscht und knackt. Und ein Jammern und ein Zähneklappern ist auf den Gängen der Pflegeheime zu vernehmen. Doch engagieren will sich niemand.

Ich sehe das etwa so:
Entweder finde ich eine Situation kacke und ungerecht, dann stelle ich mich auf die Hinterbeine und versuche das zu ändern. Im beruflichen Umfeld fallen mir da die Stichworte Gewerkschaft, Betriebsrat, Tarifvertrag und Solidarität ein.
Oder ich finde mich - warum auch immer - mit der Situation ab, dann halte ich aber meinen Mund und höre auf zu jammern. Selbstverständlich würde ich dann auch einen Tarifvertrag, denn andere erstritten haben, nicht in Anspruch nehmen.

Fragen, denen sich Angestellte in den Pflegeberufen stellen müssen:
Was hält euch davon ab, in die Gewerkschaft einzutreten und mit ihr zusammen einen Flächentarifvertrag zu erstreiten?
Was hält euch davon ab, mit den Füßen abzustimmen und zu einem Arbeitgeber zu wechseln, der einen Tarifvertrag hat?